ADHS Tagebuch :: Euphorie Oida

Seit der ADHS Diagnose beobachte ich mich ja immer genauer. Ich habe mich vorerst gegen Medikamente entschieden und will eigentlich eher wissen, wie ich damit besser umgehen kann. ADHS hat ja so irre viele Aspekte und die sind bei allen so extrem unterschiedlich ausgeprägt. Witzigerweise haben der Sohn und ich ziemlich die selben und doch sind wir auch sehr unterschiedlich.

However. Was bei mir auf jeden Fall sehr auffallend ist sind meine extremen Euphorietage. Da kann ich einfach noch nicht genau sagen, wann die auftreten. Einerseits vermute ich den Zyklus, aber da ich mich ja auch geradewegs auf den Wechsel zubewege, ist das auch nicht immer eindeutig. Am Schlaf kann es auch nicht liegen, denn heute war ich eigentlich übermüdet und so gar nicht motiviert. Eher total schlecht gelaunt am Morgen.Und dennoch wurde das ein irrer Euphorietag, von dem ich mich abends erholen musste. Es könnte auch eine Email oder Textnachricht Schuld sein, um mich vollkommen in die (oder auch plötzlich aus der) Euphorie zu kippen.

Diese Euphorie äußert sich darin, dass ich plötzlich von vielen Dingen gleichzeitig extrem begeistert bin. So sitze ich dann im Büro, will aber eigentlich am liebsten an meinem einen Romanprojekt arbeiten, weil mich das grad total fasziniert. Dann habe ich kurzen Austausch mit den Leuten vom Schreibkurs und will mich einfach nur diesen Themen widmen. Gleichzeitig will ich das eine Kunstprojekt zu Hause weitermachen, wozu ich gestern nicht mehr gekommen bin. Ich bin an der Kippe drei Bücher zu kaufen um sie für meine Recherchen zu nutzen, obwohl ich weiß, dass sie mich alle nicht unbedingt weiterbringen sondern nur Geld kosten und Zeit verschwenden. Und dann sind da noch Menschen in meinem Kopf, an die ich denke und die mich total durcheinander bringen. Weil ich mich da schon wieder im Kopfkino verrenne, was vollkommen und absolut surreal ist. Das passiert alles gleichzeitig, ich höre dazu laute Musik und will unbedingt tanzen. Und eigentlich muss ich einkaufen, die Wäsche waschen und Essen kochen hier. Mir fällt es dann wahnsinnig schwer das Wichtige von dem zu unterscheiden, was ich machen will und ich mache von allem ein bisschen, um mich auf allen Ebenen ein bisschen glücklich zu machen. Aber es ist irre anstrengend. Wenn ich dann Menschen begegne, rede ich völlig aufgeregt und viel zu schnell, ich könnte alle mit Komplimenten überschütten aber ich kann niemandem zuhören, weil in meinem Kopf ja schon das totale Chaos läuft. Das ist dann übrigens das H in ADHS. Es äußert sich nur nicht in physischer Hyperaktivität, sondern so irre vollkommen über drüber.

Mein Vorteil ist wirklich, dass ich diese Tage mittlerweile als solche erkenne und hier und da Hebel setzen kann. Aber es ist anstrengend allein das zu tun : zu entscheiden, wo ich nachgebe, wo ich voll reingehe, wo ich rational bleibe und nicht den blinkenden Impulsen im Gehirn nachgebe. Und jetzt kreischt mein Tinnitus, ich kann mich nicht entscheiden, ob ich noch in die Badewanne gehe oder direkt ins Bett. Weil genau solche banalen Entscheidungen dann schwer fallen.

Früher habe ich an solchen Tagen oft gedacht: Geil, mir geht’s voll gut, das Leben ist mega. Und ich hab dann gedacht, dass das so bleibt. Heute weiß ich, dass nach so einem Tag totaler Aufprall folgen kann. Ich kann einerseits mitten an diesem Tag abstürzen, was sehr hart ist, oder ich kann am nächsten Tag einfach völlig auf der Baseline der Gefühle dahin schleichen. Und dann war ich oft frustriert, weil meine vermeintliche „Gute Laune“ weg war. Dabei kann mein Gehirn ja nicht ständig auf Euphorie laufen. Zum Glück. Manchmal habe ich das drei Tage lang und das macht mich dann schon recht fertig.
Das sind auch die Tage, an denen ich früher dann auf Insta irgendwelche durchgeknallten Videos von mir gepostet habe. Weil ich einfach nicht mehr wusste wohin mit all der Euphorie und alle sollten sehen, wie unfassbar gut es mir geht und wie lustig das Leben ist. Da entscheidet man auch einfach nicht mehr ganz rational, das habe ich mittlerweile schon besser im Griff. Zum Glück. Zum Glück. Zum Glück.

Mir ist es wichtig dieses ADHS so authentisch und echt wie möglich darzustellen, weil ich finde, dass da im Internet grad viel Mist verbreitet wird und vor allem viel haha es ist so witzig. Ich sehe es als Fluch und Segen, auch diese Euphorietage. Ich kann dann mal total ausflippen und auch was weiterbringen, aber ich muss eben auch irre aufpassen und vor allem zwischenmenschlich muss ich extra vorsichtig sein. DAs sind so Tage, wo man Nachrichten verschickt, die man genauso wenig verschicken sollte wie die drei-Uhr-nachts-besoffenen.

Heute ist alles gut gegangen und ich will einfach nur schlafen und mega schöne Träume haben von den Menschen, die mich heute innerlich im Kopfkino etwas ausgeknockt haben. Weil im Traum ist ja alles erlaubt. Aber ich weiß schon, dass ich heute eher wieder nur von verschneiten Autofahrten oder eingeschlafenen Füßen träumen werde. So ist das immer.

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