Unverkennbar ist der Herbst eingezogen. Ich darf endlich wieder meine geliebten Rollkragenpullis tragen. Ich kann mit einem Buch auf dem Sofa liegen und zufrieden dem Regen draußen lauschen. Und ich höre wieder viel mehr Musik. Mehr als mir lieb ist?
Am Wochenende bin ich auf meinem liebsten Radiosender (Radioeins!!!) über eine Podcastreihe über Die Ärzte gestolpert. Nun, sie gehören nicht (mehr) zu meinen Lieblingsbands, ich bin dem wilden Rock wohl etwas entwachsen. Aber als ich dann doch „nur mal kurz“ reingehört habe, musste ich feststellen, dass ich nicht nur vergessen hatte, welche lustigen und welche schönen Lieder sie gespielt haben, sondern auch, wie viel von meiner Vergangenheit in ihren Liedern weiterlebt. Da kamen so viele Erinnerungen hoch. Und dann wurde ich ganz herbstlich melancholisch. Und zack hatte ich 7 Folgen gehört. (Danke, Marcus Seiffert)
Manche Menschen haben mir schon früher gesagt ich würde zu sehr in der Vergangenheit hängen. Zu wenig nach vorn blicken. Oder im Jetzt sein. Vielleicht stimmt das. Da ist einfach so viel Schönes in meiner Vergangenheit. Vieles Schwierige auch, ja, das lässt sich ja nunmal auch nicht rausradieren und ich tue mein Bestes, damit umzugehen. Und dann kippe ich da immer tiefer rein und werde durch die Musik von „damals“ in die Zeit von „damals“ und damit volle Kanne in die Gefühle von „damals“ katapultiert. Ich kann dann alles wieder und nochmal fühlen. Und Menschen vermissen, ach wie man Menschen vermissen kann, auch wenn man es gar nicht will. Und wie sehr man Gefühle vermissen kann, die man damals gefühlt hat. Die jetzt wieder hochkommen, aber verklebt mit der Melancholie und Traurigkeit, dass sie Gefühle von „damals“ sind. Dass sie eben nicht mehr wirklich da sind, spürbar, erlebbar. Auslebbar.
Dann klatscht mir mein Leben jetzt ins Gesicht. Die Arbeit ruft. Dinge, die zu tun sind. Menschen, die jetzt in meinem Fokus sind. Und alles vermischt sich zu einer kunterbunten Herbstmelancholie.
Morgens spielt Radioeins schon „Weisses Papier“ von Element of Crime und ich will es gar nicht, weil es weh tut, aber ich singe mit, weil es gut tut. Und was soll ich tun, beides gehört zu mir.
Am Weg ins Büro habe ich dann doch Die Ärzte gewählt, das kurbelt das Radeln auch besser an. Aber nein, das kann man nicht mehr alles so gut ertragen, das ist teilweise zu laut, zu viel. Aber so manche schönen Lieder kann man wieder aufwärmen. Und dann wird mir warm ums Herz und im Bauch. Dann vermisse ich wieder kurz. Die Menschen. Die Gefühle. Und dann schiebe ich sie beiseite. Setze mich an den Schreibtisch und bin im Hier. Im Jetzt. Bis zur Mittagspause, wo ich eine Playlist auspacke. Meine Playlists sind nach Lebensphasen sortiert. Dann geht die Reise weiter. Zurück. Noch weiter zurück. Wieder ein Stück nach vorn. Und zurück. Und dann erinnere ich mich, wer ich schon immer war, wer ich heute geworden bin, und was davon wohl mit 90 noch in mir stecken will.
Ach Herbst, du wilde Sau. Schön, dass es dich gibt. Und danke, dass du endlich da bist.