Die Sache mit dem AD(H)S

Gestern hörte ich ein Interview mit Danger Dan, einem wundervollen Musiker Deutschlands. Er erwähnte in dem Interview, dass er erst unlängst erfahren hatte, dass er ADHS hat. Und als er dann erklärte, wie sich das bei ihm äußert, sagte sein Gegenüber: „Aber haben das nicht alle?“

Ich hab das im Zusammenhang mit ADHS schon oft gehört. Und ja, jeder kennt das, dass einen die kleinste Kleinigkeit ablenken kann, jeder ist mal unkonzentriert und in Zeiten von Handy und Sofortnachrichten sicher nochmal mehr. Aber ADHS ist meiner Meinung und Erfahrung nach eine Spur schärfer und vor allem im Alltag schwieriger.

Ich sitze zum Beispiel derzeit sehr viel in Zoom Meetings, teilweise zwei Stunden lang. Und dabei fällt mir auf, dass es Menschen gibt, die da ganz einfach und ruhig vor dem Bildschirm sitzen, sich kaum bewegen und präsent sind. ich hingegen wechsle gefühlt alle 3 Minuten meine Haltung, meine Sitzposition, ich brauche was zum Essen dabei, was zu trinken, ich schaue nebenbei hundertmal in meine Emails oder aufs Handy. Dabei interessieren mich die Inhalte oft, vor allem in den Schreibkursen. Nur kann ich nicht ruhig da sitzen und zuhören. Da werde ich bekloppt. Im Gegenteil, wenn ich mich nebenbei mit etwas beschäftige, kann ich viel besser zuhören.

In Gesprächen mit anderen drifte ich schnell ab. Ich verliere mich in meinem eigenen Gedankenstrudel. Ich verlasse dann sozusagen mein Gegenüber und bin meilenweit von ihm oder ihr entfernt. Im Arbeitskontext ist das schnell schwierig, weil mir so oft wesentliche Informationen verloren gehen. Im privaten Kontext ist es furchtbar unangenehm wenn das Gegenüber das Gefühl hat, dass ich nicht zuhöre und nicht interessiert bin. Auch das kennt vermutlich jede und jeder. Aber es passiert mir schnell und häufig.

Viele reden auch davon, dass sie in einen Raum gehen und vergessen, was sie dort wollten. Das wiederum hat überhaupt nichts mit ADHS zu tun, das ist der sogenannte Türschwellen-Effekt und bis zu einem gewissen Ausmaß völlig normal. Bei mir führt das dazu, dass ich in ein anderes Zimmer gehe, um etwas zu holen, dort etwas anderes sehe, was weggeräumt gehört, beim Wegräumen sehe ich den Wäscheberg und beginne die Wäsche zu sortieren zum Waschen. Dabei fallen mir die löchrigen Socken des Sohnes auf und die viel zu kurze Hose. Ich gehe zurück zum Laptop und will neues Gewand für ihn bestellen. Da sind inzwischen neue Emails eingegangen, um die ich mich kümmern will. Und was ich ursprünglich holen wollte, weiß ich längst nicht mehr. Kann sein, dass mir das später beim Zähneputzen einfällt. Und das mag witzig klingen, manch einer kennt das vielleicht auch. Aber es führt bei mir dazu, dass es wahnsinnig anstrengend ist Aufgaben von A bis Z zu Ende zu machen. Im Büro arbeite ich grundsätzlich an drei Aufgaben gleichzeitig, springe hin und her, wenn mir eines zu fad wird, verliere dabei aber immer wieder den nötigen Fokus.

Ich verstehe, wenn Menschen sagen „Das kenne ich aber auch.“ Das soll vielleicht beruhigen oder so. Aber in Wahrheit führt es dazu, dass diese eigene Erkenntnis, dass man hier ein Problem endlich erkannt hat und benennen kann, erst recht wieder verteidigen muss. Der Alltag mit ADHS ist wahnsinnig anstrengend. Wir sind nicht faul oder träge, wir brauchen nur für alles so viel mehr Energie.

Ich weiß nicht, wie oft ich schon versucht habe mich zu organisieren und zu strukturieren. Listen anfertigen. Apps runterladen. Dinge aufschreiben. Erinnerungen stellen. Aber jeder Wecker funktioniert nur dann, wenn man auch entsprechend auf ihn reagiert. Jede Liste ist nur hilfreich, wenn man sie verwendet.

Mein Leben lang hab ich gedacht „Warum kriege ich das nicht gebacken?“ oder „Bin ich wirklich zu faul zum Arbeiten?“ Das führt dazu, dass man sich komplett falsch fühlt, unfähig. Es wundert mich nicht, dass ich als Mutter ausgebrannt bin. Ich muss mich täglich neu orientieren, anpassen, wenn ein Anruf aus der Schule kommt, verlasse ich das Büro, wenn ein Kind eine Lebenskrise hat, bin ich da. Kein Tag ist wie der andere. Deshalb brauche ich immer wieder Pausen. Kann mir meine Wochenenden nicht verplanen, weil es sein kann, dass ich nur allein und in Ruhe sein will.

Und nein, ADHS ist nicht nur furchtbar und schlimm, es hat auch gute Seiten. Ich glaube, dass ich gerade deshalb so kreativ bin. Ich kann im Arbeitskontext flexibler reagieren, kann mal von der anderen Seite mitdenken und Gedanken einwerfen, die andere übersehen. Ich habe ständig neue Ideen und der Hyperfokus kann traumhaft sein. Aber im Moment möchte ich wirklich endlich mal eine Sache in Ruhe zu Ende bringen. Irgendwas. Bitte. Danke.

Schreibe einen Kommentar