Die Welt ist so, wie Du sie siehst

Es gibt ja Menschen, die erleben die dollsten Geschichten in ihrem Alltag. Die werden dauernd angepöbelt, die geraten in Konflikte, denen fährt immer die U-Bahn davon, da hat die Straßenbahn sicher dann eine Störung, wenn sie es eilig haben und die Nachbarn sind dann auch oft die schlimmsten, die sie kriegen konnten. Sie geraten an die unfähigsten VerkäuferInnen und KellnerInnen. Die werden blöd angemacht, weil sie drei oder mehr Kinder haben. 

Mir ist dabei mal irgendwann aufgefallen, dass das bei manchen Menschen wirklich gehäuft ist – vor allem bei denen, die sich über solche Dinge unfassbar aufregen. Und bei manchen scheinbar nicht oder selten vorkommt. Da kommt als erstes natürlich das Gesetz der Anziehung in meinen Sinn. Wir ziehen das an, was wir uns vorstellen. Wenn ich davon ausgehe, dass immer nur mir so etwas passiert, dann wird das auch in erster Linie mir passieren.

Heute wieder schrieb eine schwangere Frau in einer Facebook Gruppe empört darüber, dass ihr niemand einen Sitzplatz anbietet, wenn sie eine Straßenbahn betritt. Ich erinnerte mich an meine letzte Schwangerschaft. Da stieg ich eines Tages in eine Straßenbahn ein. Zur Mittagszeit, als die Schulen gerade aus waren. Also alles voller Schüler. Die waren mit sich beschäftigt, mit blöden Lehrern und Musik, mit ihren Handys und aufregendem Getratsche. Und selbst wenn sie mich bemerkten, dann kaum, dass ich schwanger war und selbst wenn das – ich weiß es nicht – in ihre Wahrnehmung fiel, so kam ihnen da nicht die sofortige Reaktion des Aufspringens und Sitzplatzanbietens in den Sinn. Und ich fragte nicht danach. Es ging mir gut, ich hielt mich an und erinnerte mich an mich selbst als Schülerin, als Studentin, als junger Mensch. Schwangere Frauen hatte ich selten auf dem Radar. Und selbst wenn, so war mir nie wirklich bewusst, was das heißt, außer, dass da mal irgendwann ein Kind raus kommt. Ich weiß nicht, ob ich bemerkt hätte, was angebracht gewesen wäre. Und wenn, so heißt das nicht, dass das allen so geht.

Ich war einsichtig mit den Schülerinnen. Ich konnte mich in sie hinein versetzen und verstehen. Ich verstand auch jeden anderen Menschen, der vielleicht tagträumend auf so einem Platz sitzt, der doch vorzugsweise für Ältere und Bedürftige gedacht ist. Wir treiben manchmal gedankenverloren durch die Welt, wir bemerken nicht sofort die ältere Frau, die einsteigt. Und wir kennen auhc nicht immer die Befindlichkeiten hinter Menschen, die nach außen gar nicht so wirken. So habe ich mir oft gedacht: Am Anfang der Schwangerschaft, als es mir schlecht ging, hätte ich so einen Sitzplatz öfter gebraucht, als mit dickem Bauch. Da kam aber noch niemand auf die Idee, weil ich nicht offensichtlich rund war.

Am Montag fuhr ich mit dem Lastenrad vor den Kindergarten. Wie jeden Tag. Ich hielt Kurs auf den Zaun, an dem ich parken würde. Wie jeden Tag. Direkt hinter dem Eingang, um den nicht zu blockieren. An jenem Zaun ging eine Frau mit Kind in der Trage entlang. Ich ging gedankenverloren davon aus, dass sie doch merken muss, dass ich da jetzt parken will beim Kindergarten, dass ich mit diesem Lastenrad hier meine Kinder abhole. Hallo! Ist doch offensichtlich, oder? Sie schaute mich jedoch nur entgeistert an, weil ich das Lastenrad direkt auf sie zu bewegte, hob empört die Arme und schüttelte schnaufend den Kopf. Erst da fiel mir auf, dass ich sie in ihren Augen gerade auf dem Fußweg umfahren wollte. Wir sind oft so in unserer Welt, in unseren Gedanken – wir merken nicht immer, wenn wir eine Situation nicht vorausschauend meistern und mal falsch oder unpassend handeln. Ich habe mich bei ihr entschuldigt. Und bei Menschen, die mir in der Schwangerschaft einen Sitzplatz angeboten haben, habe ich mich bedankt. Ich bedanke mich auch beim Busfahrer, wenn er den Bus für mich und den Buggy absenkt. Da gibt es ja eher die Fraktion Mensch, die sich aufregt, wenn er das nicht tut. Und ich merke, dass ich an guten Tagen viel gelassener und rücksichtsvoller bin als an schlechten. Das gestehe ich aber auch allen anderen zu. Ich muss mich nicht über jeden Menschen aufregen. Eigentlich will ich das auch gar nicht. Es hilft auch hin und wieder mal anzunehmen, dass auch andere Menschen mal in ihrer Welt durch unsere Welt spazieren. Wir müssen nur nicht immer gleich davon ausgehen, dass alle total blöd und unfähig sind und respektlos und egoistisch sowieso.

Denn ich denke, es ist immer eine Frage der Haltung, mit der ich in den Tag gehe und Menschen begegne. Wenn ich wohlwollend und bei mir bin, dann begegne ich wenigen nervenaufreibenden Situationen. Wenn ich davon ausgehe, dass da draußen nur Vollidioten herumlaufen, dann werden mir vermutlich wieder Geschichten passieren, die ich dann am Nachmittag in Facebookgruppen empört mitteilen kann, woraufhin alle anderen in der Gruppe ihre empörten Geschichten erzählen können und alle feststellen, was für eine schlimme Welt das ist, in der wir leben. Aber zum Glück sind wir ja so gescheit und können uns empören.

Dadurch wird die Welt leider nicht besser. Ich denke, dass wir sie nur im ganz kleinen Detail besser machen können. Im Bedanken. Im Entschuldigen. Im gelassen Lächeln, wenn mal wieder jemand eine blöde Bemerkung macht. Im Helfen. Wenn Unzufriedenheit – und die ist es oft, die aus schimpfenden Menschen spricht – mit Unzufriedenheit beantwortet wird, dann wird die Welt ein ziemlich trauriger Ort werden. Und das wäre doch wirklich schade, denn eigentlich kann sie doch ein sehr schöner, lustiger, erlebnisreicher Ort sein.

Mich hat auch mal eine Frau angesprochen und gesagt: “Oh sie haben schon zwei.” und dann auf meinen damals schwangeren Bauch geschaut. Ich nickte müde. “Kinder sind toll.” sagte sie dann und erzählte mir, dass sie vier Kinder hat. Und sie hatte so ein unfassbares Leuchten in den Augen, das meine Müdigkeit für einen Moment davon wischte und mir wieder die Vorfreude und Aufregung auf dieses dritte Kind in den Kopf holte. Ja, auch das kann passieren. Wenn wir offen dafür sind.

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