Tag 4 – Als ich ins Wasser ging

Wenn man die Kälte wegdenkt, könnte es ein warmer Sommertag sein. Die Donau liegt blau gedrängt zwischen den Ufern. Sie schlängelt sich sanft und leise Richtung Meer, sie kennt ihren Weg. Hat sie es gut.

Ich denke mir also die Kälte weg. Das ist noch einfach, ich sitze im Auto und spüre sie nicht. Meine Hände sind noch etwas kalt, weil ich das Eis erst eben von den Scheiben gekratzt habe. Aber die Lüftung der alten Kiste läuft auf Hochtouren und bläst mir etwas Wärme entgegen. Nur nicht zu viel, danke ich, denn gleich wird es wieder kalt und es ist besser, wenn der Schock nicht zu groß wird.

Die letzten beiden Nächte habe ich davon geträumt, wie ich ins Wasser gehen werde. Im ersten Traum habe ich verzweifelt alte Badewannen gesucht, die ich mit kaltem Eiswasser füllen könnte. An den zweiten Traum erinnere ich mich nicht, aber als ich aufwachte, wusste ich: Heute will ich es tun. Seit Tagen schon kribbelt es unruhig im Kopf und auch in der Brust, vor allem aber im Bauch. Ich will da raus. Eher rein. Rein in die Donau.

Dreissig Tage habe ich jetzt kalt geduscht in der Früh. Natürlich erst nach dem Warmduschen, soviel Warmduscherin muss sein. Früher habe ich Kälte gehasst. Früher, haha. Früher ist gerade mal einen Monat her. Den Hebel der Dusche von schön kuschlig warm auf eiskalt zu drehen war eine riesige Herausforderung. Nachdem ich es den ersten Tag geschafft hatte, lief ich nackt und lachend durch die Wohnung. Das war Motivation genug um am zweiten Tag das gleiche wieder zu machen. Heute laufe ich nicht mehr nackt lachend durch die Wohnung. Schade, dass man sich so schnell gewöhnt und die Endorphinausschüttung träger wird. Dennoch habe ich es geschafft. Einen ganzen Monat lang habe ich kalt geduscht und mittlerweile will ich den Tag nicht mehr anders beginnen. Und mittlerweile will ich tatsächlich sogar in die Donau hüpfen. Heute. Hier.

Als wir ankommen ist es sogar recht warm. Vielleicht ist das auch das Adrenalin, dass allmählich einsetzt. Ich bin aufgeregt. Innerlich versuche ich mir zu versprechen: Wenn Du es nicht schaffst, ist es okay. Aber eigentlich weiß ich, dass es das nicht ist. Weil ich es so sehr will. Deshalb fackele ich auch nicht lang herum. Wie gehen zur erstbesten Badestelle und schon habe ich mir die Jacke ausgezogen. Ich sage nicht mehr viel, schaue auf die Donau hinaus, den Altarm, der da still vor mir liegt und auf mich wartet. Wenn ich mir die Kälte wegdenke, dann könnte es Sommer sein. Dann wären nur mehr Menschen hier. Heute sind wir allein. Ich beginne ruhig zu atmen und ziehe mich weiter aus. Es ist ungewöhnlich von Winterjacke auf Badeanzug herunterzuschälen. Dann schlüpfe ich von den Winterschuhen in die Crocs, die ich dabei habe, damit ich schneller ins Wasser gehen kann. Denn ich weiß: Wenn ich gehe, dann muss ich einfach gehen können.

Mittlerweile bin ich in einer anderen Welt. Ich atme. Und ich weiß: Ich habe heute nur diese eine Chance. Wenn ich das jetzt nicht schaffe, werde ich heute nicht reingehen und dann werde ich es heute nicht nochmal versuchen. Aber ich will es schaffen. Und ich füge hinzu: Wenn ich das hier schaffe, kann ich alles schaffen im Leben. Alles. Davon bin ich überzeugt.

Dreimal atme ich noch ein und aus, dann setze ich den Fuß ins Wasser. Das Wasser stemmt sich gegen die luftig-leichten Crocs, aber mein Wille ist stärker. Ich spüre die Kälte an den Füßen, aber ich schrecke nicht zurück. Ich atme weiter ganz tief und ruhig. Und gehe. Die Kälte wird so stark, dass ich normalerweise jetzt die Füße herausgezogen und das Baden für beendet erklärt hätte. Aber ich weiß, dass ich mehr aushalten kann. Dass mein Körper mehr schafft. Als ich bis zu den Hüften im Wasser bin bleibe ich stehen. Die Sonne lacht mich von hinten an. Vor mir liegt der Altarm still und ruhig und heißt mich willkommen. Ich sinke hinein und bleibe da. Ich atme ganz ruhig. Und lächle. Da bin ich. Ich habe es geschafft. Die Kälte umgibt mich, aber sie reißt mich nicht mit. Ich spüre sie, nehme sie wahr und bleibe doch ganz bei mir. Eine Minute lang verharre ich so. Dann kehre ich zurück.

Draußen ist es warm. Die Sonne hüllt mich ein, dennoch wickle ich mir das Handtuch um. Und strahle. “Ich habs geschafft!!!” Völlig entgeistert gehe ich hin und her und schaue hinaus aufs Wasser. Wenn ich mir die Kälte wegdenke, dann könnte es Sommer sein. Es sieht einladend aus so. Ich hänge das Handtuch an den Baum und stapfe noch einmal ins Wasser. Noch entschlossener. Noch schneller. Dieses Mal will ich kurz Schwimmen. Im Wasser. In der Sonne. Dann freue ich mich auf den restlichen Tag, an dem ich mir immer wieder fassungslos selbst erzähle: Ich habs geschafft!

Schreibe einen Kommentar