Tag 41 – Isländisches Moos

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  • Beitrag veröffentlicht:Dezember 14, 2018
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Wie eine Horde toter Schafe lag das mit Moos überwachsene Lavagestein vor ihm und erstreckte sich in die Weite und Breite der isländischen Landschaft. Auf der Suche nach einem Ort sein Zelt aufzuschlagen und diesem Wildnisabenteuer die Stirn zu bieten, geriet er schon hier an die erste Hürde. Kein Hering würde sich hier in eine Erde bohren lassen, keine Plane einen ebenen Untergrund bieten zum Schlafen. Er setzte sich auf das weiche Moos, das dann noch hier und da rauh und trocken piekte. Sein Blick blieb in den Bergen hängen, die sich in der Ferne in die Höhe streckten. Das also war dieses Alleinsein, nach dem er sich so gesehnt hatte. Von dem alle immer redeten, wenn es um Auszeiten und Selbstfürsorge ging. Er hatte geglaubt, dass er das auch brauchen würde. Dass es ihm gut tun würde. Mal so richtig raus. Richtig weit weg. Richtig zurück auf den Boden. Aber der war nun steiniger, als er gedacht hatte. Es hatten ja auch alle nur von den Straßenverhältnissen geredet. Das ginge schon mit dem Rad, hatten sie gesagt. Und es fahren ja auch Busse, da könnte man im Notfall mitfahren. Und vom Wetter hatten sie geredet ja. Und von der irren Landschaft. Aber damit meinten sie eher das Großartige, was sich oben bot, wenn man hinauf blickte. Oder weit nach hinten. Aber nicht das, was unter den Füßen lag, wenn man anhielt und einen Platz zum Zelten suchte. Zwei Stunden war er nun schon geradelt und hoffte, einen Ort zum Schlafen zu finden. Er war erschöpft und müde. Von den letzten Wochen daheim. Und von der heutigen Radfahrerei. Er war müde von der Suche nach Entspannung und Erholung. Und kurz überlegte er, ob er nicht doch ein Hotel nehmen sollte. Eins mit Wellnessbereich und gutem Essen. Aber da waren wieder Menschen, da gab es Zivilisation und W-Lan. Er wollte allein sein, in Ruhe. Für sich. Hier draußen. In der Natur. Dieser Natur, die ihn scheinbar nicht wollte. Er schloss die Augen und lauschte dem Tinnitus, seinem treuen Begleiter. Doch der war nicht da. Unauffindbar. Verschwunden. Er öffnete die Augen und versuchte sich ganz genau auf seine Ohren zu konzentrieren. Nichts. Es war einfach nichts zu hören. Da war die Natur. Die Stille. Die Weite. Da war eine leichte Brise zu spüren und ganz, ganz in der Ferne hin und wieder ein Auto auf der Ringstraße. Sonst nichts. Er lächelte. Und lauschte diesem Nichts in seinen Ohren. Dann stand er auf und ging zurück zu seinem Fahrrad. Er fuhr zurück zur Straße und ein paar Meter entlang. Seine Beine wirkten leichter. Und nach nur wenigen hundert Metern sah er Meer aus Grün. Echtem Grün. Kein Fels, kein Gestein, kein Moos. Hier konnte er sein. Und bleiben.

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