Am Sonntag war ich beim konzert von Tocotronic. Der womöglich schrägste Ort für ein Konzert diesre Art: Das Wiener Konzerthaus. Genauso absurd war das Publikum. Natürlich nicht wirklich, aber als ich das letzte Mal auf einem Tocotronic Konzert war, da war ich ca. 20 und alle um mich herum auch. Gefühlt zumindest. Und jetzt bin ich 45 und alle anderen um mich herum… waren das wohl auch. Oder älter. Manche sahen immer noch so aus wie in der Hamburger Schule hängengeblieben. Andere wirkten… ach, egal.
Ich wollte ja auch gar nie wieder auf ein Konzert von ihnen gehen, denn das damals, in den 90ern war eher anstrengend und sehr schrummelig im Coney Island in Leizpig. Aber dann hab ich Dirk von Lowtzow in der Hörbar Rust auf Radioeins gehört und war (wieder) wollkommen verliebt. In diese Stimme, diesen Humor, seine Sprache. Und nach neuerlichem Reinhören auch (wieder) in die Musik dieser Band, die mich damals wie heute an einem ganz besonderen Punkt berührt, mich in eine Zeit zurückversetzt, die bei weitem nicht leicht war, geprägt vom Anderssein, Unsicherheiten und dem Suchen und Findenwollen.
Schon beim ersten Song hatten sie mich wieder voll gepackt. „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit.“ Der Text saß wie damals. Und der Titel war mein Leben lang mein Motto. Wann auch immer etws schief ging, ich eine Idee verfolgte, die (wiedermal) nicht funktionierte, etwas nicht klappte, sagte ich „Die Idee war gut, doch die Welt noch nicht bereit.“ Manchmal habe ich das Gefühl, dass das überhaupt auf mich zutrifft. Wobei ich da beim Vipassana vor zwei Wochen auch andere Erkenntnisse dazu hatte. Und ja, es war eine sehr schräge Erfahrung nach einer Woche Stille auf ein Rockkonzert zu gehen.
Dirk war in beseter Stimmung und sie spielten viele alte Hits. Das tat gut, da ich die neue Platte „Nie wieder Krieg“ kaum gehört hatte und auch nicht alle Songs darauf mochte. Und irgendwie war ich ja auch hier für diese Zeitreise, für dieses Abtauchen in Erinnerungen und – und das ist besonders seltsam – in ein Zu-Mir-Zurückfinden. Denn auch wenn ich damals Schwierigkeiten hatte mich selbst zu sehen, zu erkennen, zu mögen, so sind mir viele Gedanken, Emotionen, Ansichten und Werte erhalten geblieben. Plötzlich spürte ich wieder die Großartigkeit des Andersseins, Andersdenkens. Die Möglichkeiten, die mir das eröffnet. Immer wieder. Und ich konnte mich sehen, die Person, die ich geworden war nach all den Jahren. Was ich geschafft habe. Was noch vor mir liegt.
Dirk plauderte wieder. „Wien ist ja nachweislich eine großartige Stadt und wunderschön. Aber hier leben?“ und das Publikum schrie: „Nein danke!“ Und ich schrie laut mit. Ja, Wien ist eine tolle Stadt, wunderschön, immer was los. Aber ich bin hier auch nach 15 Jahren nicht zu Hause. Meine Kinder sind mein zu Hause. Aber in Momenten wie diesen rechne ich wieder – wie lange muss ich noch aushalten hier? Ab wann kann ich weg? Die Kinder – wer weiß wo die landen, wenn sie ausziehen. Irgendwann wird es egal sein, wo ich lebe. Und dann will ich weg. Das mag an Tocotronic liegen oder an an unserem Sommerurlaub. Aber Hamburg war sofort in meinem Kopf. Diese zauberhafte Stadt im geliebten Norden, nahe der Ostsee, an der geliebten Elbe. Wo ich als Piefke einfach wieder Piefke sein kann. Ach wer weiß. Jetzt bin ich hier. Es könnte ja schlimmer sein. Es tut nur unglaublich gut zu träumen. Eine Träumerin war ich immer. Und ich werde immer eine bleiben. Denn:
Pure Vernunft, darf niemals siegen.