Tag 29 – Ein Funke

Sie lag im Bett und bewegte sich nicht. Sie konnte sich nicht bewegen. Eine leere Schwere hielt ihren Körper fest. Es war ähnlich wie die Lähmung während einer Schlafparalyse. Und doch schlimmer. Denn ihr Körper war nicht gelähmt, sie war in der Lage sich zu bewegen. Aber sie konnte es nicht. Es brauchte enorme Anstrengung. Ein Marathon unter der Bettdecke.
Sie starrte an die Zimmerdecke. Kannte mittlerweile jeden Schatten, jede Unebenheit, die die Maler einst hinterlassen hatten. So lag sie dort, bis die Uhr sie rief. Sie raus musste. Funktionieren musste. Sich vom Alltag mitreißen lassen wie ein Wasserskifahrer vom Boot. Sie stand auf und ging langsam ins Bad. Zog sich das T-Shirt über den Kopf. Streifte sich die Unterhose ab und stand nackt und müde vor dem viel zu großen Spiegel im viel zu hellen Licht. Seit langem hatte sie ihren Körper nicht mehr so betrachtet. Auch jetzt zuckte etwas in ihr, wollte sich selbst nicht anschauen. Wollte unter der Dusche verschwinden und ignorieren, was sie selbst war. Ihre Brüste, die für ihren Geschmack ein wenig zu weit herab hingen. Ihr Bauch, gefüllt von zu Ungesundem Essen zu späten ungesunden Tageszeiten. Ihre Haut, die trocken und rissig sie umgab. Die Beine dürr, Finger- und Fußnägel gebrochen und spitz. Ihr Blick blieb haften an der Narbe auf ihrem Bauch. An der Erinnerung an die Geburten, die nicht so liefen, wie geplant und doch wunderschön waren. Sie dachte an die Schwangerschaften, an die Zeiten voller Hingabe und Leidenschaft. An die Liebe, die sie einst gespürt und gelebt hatte. Ihre Schultern sanken weiter herab und aus ihren Augen lief eine Träne über ihre Wangen. Sie blickte auf. Blickte in den Spiegel, sah ihr Gesicht. Ihren Mund, ihre Nase, die zerzausten Haare auf dem Kopf. Sah ihre Augen, die glänzten und weitere Tränen fallen ließen. Und während sie diese spürte und im Spiegelbild herunterlaufen sah, da fühlte sie einen Funken, der mit diesen Tränen aus ihren Augen sah. Ein Funke, der aus dem tiefen Kern ihres Wesens aus ihr heraus strahlte und versuchte all die Leere zu durchbrechen, die sie in den letzten Wochen sich in ihrem Körper ausbreiten ließ. Ein Funke, der plötzlich heller wurde, greller. Größer. Lauter. Und während sie diesen Funken spürte, sah sie im Spiegelbild ein Lächeln über das Gesicht eilen. Und lächelte schüchtern zurück.

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