Tag 44 – Funken

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  • Beitrag veröffentlicht:Dezember 17, 2018
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„Sag, was genau war das eigentlich damals mit uns beiden?“
„Was meinst Du?“
Sie schaute ihn belustigt an. „Jetzt stell Dich nicht so an. Du weißt genau wovon ich rede.“
„Nein. Erklär“, sagte er und lehnte sich erwartungsvoll zurück.
Sie kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf ein wenig und überlegte, was sie sagen sollte.
„Du willst jetzt, dass ich Dir erkläre wofür ich gern von Dir eine Erklärung hätte?“
„Ja genau“ antwortete er. „So hätt ich das gern.“
Sie schnaufte. „Na gut. Also…“ Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Bier und begann:
„Damals. Ich meine, das war ja nichts Festes. Wir waren ja nicht zusammen.“
Sie blickte ihn prüfend an. Er zeigte keine Reaktion. „Und weiter?“ fragte er.
„Naja. Dann waren da immer so diese Abende. Hier und da. Wo wir uns zufällig über den Weg gelaufen sind. Im „Südklub“ oder im „Heinz“ zum Beispiel. Da haben wir gefeiert, getanzt, getrunken… Und dann sind wir oft danach zu Dir gegangen. Und morgens… Eigentlich kann ich mich an die Morgende überhaupt nicht erinnern. Aber ich glaube ich bin dann einfach immer nur nach Hause gegangen. Und wusste nie, wann ich Dich wiedersehe.“ Wieder blickte sie ihn an. Wollte seine Reaktion sehen. Eine Reaktion. Irgendetwas. Sehen, dass er verstand, was sie meinte. Hören, dass er… Ja was eigentlich? Was wollte sie eigentlich hören? Und spielte es überhaupt noch eine Rolle, was er heute, hier, 20 Jahre später, dazu zu sagen hatte? War es nicht völlig egal, was damals war?
Er schaute sie an. Und für einen Moment war sie sich nicht sicher, ob sein Blick noch immer belustigt war, oder nicht doch einen Funken Ernst in sich trug. Und für diesen einen Moment wusste er nicht so recht, wie er reagieren sollte. Er hatte geahnt, dass diese Frage nun, da der Abend vorangeschritten war, auftauchen würde. Und natürlich hatte er sie sich selbst schon hunderte Male gestellt. Damals. Und auch später. Nein eigentlich hatte er die Antworten auch längst gefunden. Aber sie waren so diffus. So komplex. Wie sollte er sie ihr nun hier über diesem Glas Bier, das nicht mehr das erste war, umhängen? Wie konnte er ihr erklären, was er damals empfunden hatte ohne dass sie ihn für einen kompletten Volltrottel hielt?
Er schwieg weiter vor sich hin und überlegte krampfhaft, in seinem Kopf fuhren die Gedanken wie eine Kugel durch eine irre Kugelbahn, schossen wie beim Flipperautomaten quer umher und prallten immer wieder an anderen Gedanken, an denen er zog, ab. Es war laut und wild und er verspürte den Drang sich in Luft aufzulösen.
Ihr Herz schlug. Sie hatte die Frage gestellt, die ihr den ganzen Abend schon auf den Lippen lag, sich von keinem Glas Bier herunterspülen ließ und dort einfach auf ihren Auftritt gewartet hatte. Und jetzt schwieg er. Und sie befürchtete die Stimmung, den Abend, dieses Wiedersehen einfach so kaputt gemacht zu haben. Wie bei einem Heliumballon, der davonzufliegen drohte, hielt sie ihre Hand zusammengepresst und hielt ihn am imaginären Band fest. Dann endlich redete er.
„Vielleicht war es so wie mit zwei Wunderkerzen.“ In seinen Händen hielt er je eine imaginäre Wunderkerze und sie ließ erleichtert ihren Heliumballon fliegen.
„Wenn man versucht eine Wunderkerze an einer anderen zu entzünden, dann muss man sie an den funkenden Teil halten. Aber es dauert eine Weile, bis diese Funken überspringen. Man muss also Geduld haben und es braucht viele kleine Funken, die da hüpfen und sprühen, bis die andere Wunderkerze dann wirklich angesteckt ist.“ Er hielt nun gedanklich zwei sprühende, funkende Wunderkerzen in den Händen. Sie konnte sie sehen, schaute ihm dann in die Augen und er hoffte, sie würde ihm diese Geschichte einfach so abnehmen.
„Ich war also die Wunderkerze, die schon an war. Und Du die andere?“ fragte sie.
„Genau.“ Er schien erleichtert, dass sie zumindest verstand, was er meinte.
„Hm.“ So recht zufrieden schien sie mit der Antwort nicht.
„Aber Du hast mir ja nie die Chance gegeben, Dich länger an mich zu halten. Du hast Dich am nächsten Morgen immer wieder einfach entfernt. Da konnten die Funken noch so sprühen in mir.“ Sie spürte den Schmerz, den sie damals immer wieder erfahren hatte.
Er nickte. Stumm, aber er nickte.
„Es tut mir leid.“ sagte er schließlich. Und es kam so überraschend aus ihm heraus, dass er über sich selbst erstaunt war. Und sie schaute ihn an. Ebenso überrascht. Und vielleicht war es einfach nur das, was sie hören wollte.

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