Tag 51 – Nicht hier

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  • Beitrag veröffentlicht:Dezember 24, 2018
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Marie blickte still auf die braunen Gräser, die entlang der Terrasse wuchsen. Die in die Höhe ragten und sich oben spiralförmig bogen. Der Sonne sich entgegen reckten. Verspielt und irgendwie gut gelaunt. Was hatten die auch schon für Sorgen? Kannten keine Probleme, schon gar nicht solche, wie Marie sie hatte.
Konrad saß ihr gegenüber, beobachtete sie und ihren Blick. Auch er hatte die spiralförmigen Gräser entdeckt und innerlich gelächelt. Das war Marie, wie er sie kannte. Die nicht nur in die Welt hinein starrte. Das war Marie, die immer irgendwo die Schönheit und den Zauber der kleinen Dinge entdeckte. Die das Besondere wahrnahm. In jeder Ecke des Lebens, in jedem zarten Gefühl.
Es tat ihm weh, sie so zu sehen und sich nicht zu ihr hinüber beugen zu können, ihr die Nase mit seiner zu streifen so wie früher, als sie noch völlig jung und naiv einfach nur Konrad und Marie gewesen waren. „Was soll ich tun, Marie?“ fragte er und es klang verzweifelt. „Ich bin keine sechzehn mehr, ich habe eine Familie, habe Karin und dieses Leben hier.“ Er wollte nichts davon eintauschen und doch am liebsten die Zeit zurück drehen und alles ganz anders haben.
Sie konnte ihn nicht ansehen. Sie hatte jedes Wort gehört und sie glaubte zu wissen, mit welchem Blick Konrad sie anschaute. Nein sie wusste es und sie spürte seine Verzweiflung so wie sie ihn immer gespürt hatte. Wie sie ihn immer gefühlt hatte. Sie wünschte sie könnte sich jetzt einfach zu ihm hinüber beugen und ihn mit ihrer Nase an seiner berühren. So wie früher, wenn sie sich von ihm verabschiedet hatte. Aber früher waren sie noch unerfahren gewesen. Hatten von der Wahrheit keine Ahnung und schwammen in jugendlicher Naivität herum. Marie spürte, dass es an der Zeit war, Konrad von der Wahrheit zu erzählen, aber sie fürchtete sich davor. Sie wünschte sie könnte sich einrollen und einfach der Sonne entgegen strecken. Ganz still und leise, so wie die Gräser, die um sie herum wuchsen. Ganz stumm die Zeit zurück drehen und alles ganz anders haben als in diesem Hier und Heute jetzt. Oder vielleicht, dachte sie, wäre es auch möglich vorzuspulen. Ganz schnell. In einen schöneren Moment hinein. Aber wenn es den gäbe, dann wäre das Hier und Jetzt ja doch gar nicht so schlecht. Und allmählich fühlte sich ihr Gehirn genauso spiralförmig verbogen an wie dieses Gras.

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