Tag 67 – Der Schmerz

„Ich musste einfach gehen damals.“
„Aber warum?“ Konrad hob die Hände wie ein Priester in die Höh, so wie er es immer tat, wenn er etwas nicht verstand oder bekräftigen wollte. Heute war es irgendwie beides. Er verstand noch immer nicht, warum Marie damals so Hals über Kopf gegangen war und er wollte ihr klar machen, dass es anders auch gegangen wäre. Wenn sie geblieben wäre. Und sie gemeinsam einen Weg gefunden hätten für sich.
„Konrad bitte. Versuch mich doch wenigstens zu verstehen. Mein Leben hier war ein vertrocknetes Stück Holz. Ich brauchte einen neuen Weg, eine neue Chance um nochmal aufzublühen. Ich konnte doch nicht mit 19 schon am Ende sein.“ Marie sah ihn aus ihren großen Augen an.
„Am Ende – wie das klingt! Das ist doch…“ Er wusste nicht weiter. Rang nach Worten, doch in der Luft hing nur staubige Hitze. Sein Haar stand ihm verschwitzt und wirr vom Kopf. Nirgends lag ein Wort herum, dass ihm hier weiterzuhelfen schien. Vielleicht weil er ahnte, dass Marie recht hatte. Dass es keine Lösung für sie gegeben hätte. Dass es besser gewesen war, so schnell wie möglich wegzulaufen.
„Was Konrad, was wäre jetzt hier anders zwischen uns, wenn ich geblieben wäre? Sags mir!“
Konrad schaute in die trockene Augusthitze. Dann drehte er sich zu ihr um:
„Der Schmerz.“ sagte er. „Der Schmerz wäre vielleicht jetzt schon vorüber. Das ist es, was jetzt anders wäre.“
Dann stand er auf und ging.

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